„Mit 38 Lachfalten durchs Leben – Ein Gespräch mit Liv Kristine“ Teil 2

Band

Liv Kristine

 

Interview vom

25.05.2025

 

Im zweiten Teil meines Gesprächs mit Liv Kristine tauchen wir tiefer ein: Wir reden über die poetischen Facetten ihrer Texte, das Frauenbild in der Metalszene und was Authentizität für sie wirklich bedeutet. Liv erzählt offen und ehrlich, wie sie zu sich selbst steht und wie wichtig ihr echte Entwicklung ist – als Künstlerin und als Mensch. Dieses Gespräch zeigt, wie klar und konsequent sie ihren Weg geht. Ein ehrlicher Austausch, der Liv noch mal ganz anders zeigt.

Liv, ich hatte das Gefühl: Die Platte wirkt auch wie ein Ausbruch. Du hast mit dem Virgil-Zitat einen sehr poetischen Ansatz gewählt. Wie kamst du denn eigentlich darauf? Hast du die Werke gelesen? Oder ist es so ein Fall von: Du hast den Spruch irgendwo aufgeschnappt, fandest ihn gut – und hast darauf dann ein Konzept aufgebaut?

Liv: Amor vincit omnia.“ Also: Ich wusste, in diesem Lied geht es um Liebe.Und Liebe ist… irgendwie die größte Kraft. Die Liebe überwindet alles.Aber – wenn du das auf Deutsch sagst: „Liebe überwindet alles“… das klingt halt schnell wie Blabla. Nicht wirklich poetisch. Dann dachte ich: Okay, auf Englisch? „Love conquers everything.“Klingt auch nicht besser. Da kommt die Zunge kaum hinterher. Dann kam mir die Idee: Latein! Yes! Ich singe ja immer noch Stücke von Theatre of Tragedy, da ist Latein auch drin. Zum Beispiel in Venus, das spielen wir heute Abend auch.(Amnmerkung der Redaktion:“Das haben sie hier der Link zum Live Bericht: LIV KRISTINE, RAVENSTINE, VINYLCAFE SCHWARZES GOLD / DORSTEN ) Und für mich ist das so: Dieser Satz – „Amor vincit omnia“ – ist wie in Stein gemeißelt.So tief geht das. Und ich wusste: Genau das brauche ich jetzt.

Hast du dich eigentlich jemals in eine bestimmte Schublade gedrängt gefühlt? Gerade die Metal-Szene – und das ist nicht böse gemeint – war doch in den 90ern und 2000ern für Frauen bestimmt noch schwieriger, oder?

Man sagt immer: Ich bin doch eine stark emanzipierte Frau, ich kann mit 18 Männern im Tourbus leben – sieben Wochen lang. Klar, habe ich auch gemacht – ist auch kein Problem. Aber es gibt da etwas anderes. Wenn ein Mann auf die Bühne geht, schaut man vielleicht zweimal hin – bei einer Frau schaut man zwanzigmal hin.Und das ist einfach so. Ich frage mich oft: Woher kommt das eigentlich? Und dann kommt noch was dazu: Die Frauen schauen auch sehr aufeinander. Ihr Männer seid da oft entspannter: „Du bist du, ich bin ich.“ Du bist 2 Meter groß, ich bin 1,60 m – du trinkst Bier, ich nicht – völlig egal. Da gibt’s mehr Akzeptanz. Aber bei uns Frauen…Da denke ich oft: Boah, wir sind so beschäftigt – mit Aussehen, mit Vergleichen, mit Rollenbildern, mit Erwartungen. Alle wollen irgendwas darstellen. Oder irgendjemand sein. Und das… das geht für mich gar nicht.

Ja

Für mich ist es einfach wichtig, dass ich mich immer so zeigen kann, wie ich bin. Und wenn ich immer noch singen kann – so wie ich eben singe – dann mache ich das auch. Ich habe 38 Lachfalten, jeweils rechts und links. Du kannst anfangen zu zählen – ungefähr. (lacht) Aber ich habe einfach viel gelacht in meinem Leben. Ich bin ja mit Michael verheiratet – der ist Däne. Ich komme aus Norwegen. Und da gibt es einfach diese dunklen, blöden Witze – schon morgens beim Kaffee, oder vor dem Kaffee – und wir lachen so viel. Das ist so schön.Ich weiß gar nicht, warum ich jetzt da gelandet bin.Aber ich finde: Wenn du Freude spürst bei dem, was du machst – wenn du bei dir selbst Freude spürst –dann bist du frei. Und das ist wunderbar.Aber: Das kommt oft nicht gut an – wenn du so bist. Wenn du sagst: „Ich bin so, ich will authentisch und kreativ sein“ – das gefällt den Plattenfirmen meistens nicht.

Das ist genau das, was ich meinte mit „Schublade“.

Ja, absolut. Da hast du vollkommen recht.

Denn viele Hörer – vor allem die Älteren, so wie ich –die haben dich natürlich sofort im Kopf: Mit Theatre of Tragedy, mit Leaves’ Eyes, mit Atrocity oder wie auch immer.

Hast du das Korsett gesehen? (lacht) Auf vielen alten Fotos…

Ja! Ich habe mir tatsächlich auch nochmal das alte Atrocity Cover zu Werk 80 angeschaut, wo du zwar nicht direkt drauf bist – aber dieser Lack und Leder Style  und allem drum und dran. Ich dachte mir nur: „Meine Güte!“ Würde das man  – in der heutigen Zeit – nochmal so provokant machen?

Heute? Nein.

 

Weil du damit ja auch gewisse Klischees bedienst?

Genau. Klischees – das ist das Wort, das mir vorher gefehlt hat. Nach außen greifen, etwas zeigen, darstellen wollen. Aber dabei das Glück in dir selbst nicht finden. Was wäre, wenn ich nur ein Bein hätte? Bin ich dann nicht sexy? Quatsch! Völliger Quatsch!

Auch ein Holzbein kann gut sein! (lacht)

Ja, mega! Deswegen sage ich: Wenn ich glücklich mit mir selbst bin, dann habe ich doch schon gewonnen. Ich muss bei mir anfangen. Ich muss mich selbst lieben, eine Verbindung zu mir selbst schaffen –damit ich auch eine Verbindung nach außen schaffen kann. Darum geht’s auch auf Amor Vincit Omnia. Natürlich geht es da auch um romantische Liebe. Ich habe Michael kennengelernt – und bei uns ist es wirklich so: Wir sind eins. Wir lachen viel, wir sind kreativ zusammen, und es ist, als ob wir uns schon immer gekannt hätten. Es ist einfach so schön, mit ihm gemeinsam durch die Welt zu gehen.Aber: Es geht auch um die Beziehung zu mir selbst. Ich hatte schon einige Pannen in meinem Leben – einige. Aber heute, mit 49 – bald 50 – stehe ich mitten im Leben. Und ich glaube, diese Pannen waren einfach dazu da,damit ich zu mir selbst nach Hause finde. Damit ich noch authentischer werde.

Ich glaube, das liegt auch ein bisschen am Alter. Du bist genau ein Jahr und einen Tag älter als ich – du am 14. Februar, ich am 15.Vielleicht deshalb begleitet mich deine Musik schon so lange – weil sie meine Lebensphasen irgendwie immer mit begleitet hat.Wie ist das zur Zeit bei Metalville ?

Heute, mit Metalville, läuft alles auf Augenhöhe. Ich rufe an, die sind gerade beim Kaffee trinken – wir besprechen alles schnell und unkompliziert. Und genau das habe ich mir immer gewünscht. Alles andere liegt in unseren eigenen Händen. Natürlich haben wir Helfer hier und da – und ihr seid ja auch da –aber insgesamt fühlt es sich einfach richtig an. Ich habe gelernt: Wenn du mit 20 erfolgreich bist – und das Geld fließt durch dich durch (es bleibt nicht bei dir, das kannst du vergessen) –dann kommen Verpflichtungen. Erwartungen. Wenn du dann sagst: „Nein, das mache ich nicht. Der Ausschnitt ist mir zu tief. Ich will mich so nicht zeigen.“ Dann bist du gleich die Zicke. Dann heißt es: „Die ist langweilig, die ist schwierig. Mit der kann man nicht arbeiten.“ Und das will ich heute nicht mehr.

Denkst du, das ist heute immer noch ein Problem? Oder hat sich da was geändert? Es gibt ja mittlerweile viele junge Künstlerinnen – viele auch richtig, richtig gut. Ich frage mich da oft: Hat sich das wirklich verändert? Denn nach außen tun wir ja oft so, als wäre alles besser geworden. Wie ist deine Erfahrung?

 Ja – es gibt heute viel mehr Frauen in der Metal-Szene als damals – als ich 1993/94 mit Theatre of Tragedy in Stavanger aktiv wurde. Damals war das richtig neu, dass eine Frau überhaupt mitgesungen hat. Heute hat fast jede Band eine Sängerin –und das ist gut! Die Frauen sind selbstsicherer geworden. Aber: Einfacher macht es das nicht unbedingt. Ich gebe ja auch Gesangsunterricht – Vocal Coaching. Dabei geht es nicht nur um Gesangstechnik – es geht auch um deine authentische Stimme. Ganz viele Sängerinnen kommen zu mir und sagen: „Ich möchte klingen wie Liv Kristine, wie Tarja, wie Sharon oder Adel.“ Und ich sage: „Okay – das können wir üben. Das kannst du perfekt nachmachen. Aber: Wo bist du? Wo ist deine Stimme? “Wenn wir diesen Punkt erreichen –wenn sie auf ihre eigene, authentische Stimme stoßen –dann passiert etwas Magisches. Das verändert etwas. Ich hatte schon viele solche Momente –die jüngste Schülerin war fünf Jahre alt, als sie angefangen hat. Sie war gestern auf meinem Konzert. Wenn man erkennt: In meiner echten, authentischen Stimme liegt meine größte Kraft, dann verändert sich etwas – als Sängerin, aber auch als Mensch, als Frau. Und das wünsche ich wirklich jeder Frau: Dass sie da ankommt.

Ja – sonst geht auch oft die Musik verloren. Ich beobachte das z.B. beim Metalcore der so groß geworden ist…Da gibt’s wirklich viele gute Bands – ich verfolge das lange – aber oft denke ich:„Die hatten mal ihren eigenen Sound – und jetzt? Seid ihr Band A? Oder Band B?“ Man erkennt den Unterschied gar nicht mehr.

Ganz genau. Das ist wirklich so.

Ganz seltsam. Ich würde gern nochmal kurz zur neuen Platte zurückkommen. Mir ist aufgefallen: Du hast – bis auf das Duett mit Michael – komplett auf weitere Duette verzichtet. Witzigerweise hatte ich bei „King of Diamonds“ noch geschrieben: „Das ist irgendwie Livs Signature Move.“ Denn ich finde es immer überraschend, wie gut deine Duette funktionieren. Gab es da gar keine Überlegung?

Liv: (lacht) Weißt du, ich habe da eigentlich gar nicht drüber nachgedacht. Die Songs sprechen für sich. Ich wusste bei „Amor Vincit Omnia“: Da braucht es diese eine Stimme. Ich habe anfangs selbst die Growls eingesungen – technisch kann ich das auch gut – aber auf der Bühne wäre das einfach nicht authentisch. Und dann sagt Michael zu mir: „Was machst du da eigentlich in deinem Zimmer?“ Ich: „Ich growle gerade. Willst du’s lieber machen?“ Und er so: „Ja, ich probier’s mal.“ Und dann kam es dazu.

Ich geb’s zu – gesehen hätte ich das gerne mal. Auf Platte passt das, aber live wäre das schon witzig gewesen.

Liv:(lacht) Ja, das macht auch echt Spaß.Wenn wir Karaoke machen – so nach drei Bier und ’nem Whisky obendrauf –
dann growle ich richtig los.. Ich hab da riesigen Spaß dran. Ich unterrichte das auch –gerade für Sänger:innen, die das schonender lernen wollen.
Aber für diesen Song brauchte ich Michael. Die anderen Lieder auf dem Album – die haben einfach nicht danach gefragt

Ich glaube, das ist genau der Punkt. Es war einfach nicht nötig. Platte passt das, aber live wäre das schon witzig gewesen.

 Ja – und deswegen musste ich gerade auch kurz überlegen, weil ich selbst nicht drüber nachgedacht hatte.

Hast du gerade eigentlich noch andere Projekte? Bandmäßig ist ja aktuell eher ruhig – du hattest ja z.B. eine Zeitlang  mit Carmen ( Carmen Elise Espenæs / Liv s Schwester) Projekte. Liegen diese oder andere Projekte komplett brach zur Zeit?

Liv: (lacht) Ich bin schwer beschäftigt – ich hab geheiratet.. Vielleicht kommt das erste Kind – oder mehr… Im Juli ziehe ich mit meiner Familie nach Norwegen – wir werden in der Nähe von Carmen wohnen. Und natürlich: Wenn wir unsere Köpfe zusammenstecken, kann da wunderschöne Musik entstehen. Wir haben ja schon ein paar richtig gute Sachen zusammen gemacht. Also, ich freu mich drauf. Warum nicht mal ein gemeinsames Album? Warum nicht? Aber… verklag mich bitte nicht, wenn’s wirklich passiert! Das war DEINE Idee, Mario! (lacht)

Alles gut! Ich glaube, ich hab auch alles, was ich wissen wollte Vielen Dank Liv!

 Du hast mich drauf gebracht. Grabe das ruhig nochmal aus, wenn’s so weit ist!  Ich hab viel mehr gesprochen und gelabert als…Na ja, labern tu ich nicht.
Ich rede. Ich spreche. (lacht)

 

Nein, ich kann es nur bestätigen: Labern tut Liv sicher nicht. Ich war ehrlich gesagt ziemlich geplättet – von ihrer Natürlichkeit, ihrer Offenheit und der Ruhe, mit der sie erzählt. Kein Künstlersprech, kein einstudiertes Image. Einfach Liv. Und das hat mich mehr beeindruckt, als ich vorher gedacht hätte.I ch war im Vorfeld nervös. Ihre Musik begleitet mich seit so vielen Jahren – sie ist für mich nicht einfach nur eine Stimme, sondern ein Stück Leben. Genau deshalb hatte ich auch Respekt vor diesem Interview. Aber was mir begegnet ist, war eine Künstlerin, die ganz bei sich ist. Keine Distanz, keine Show. Sondern jemand, der zuhört, ehrlich antwortet und sich nicht hinter großen Phrasen versteckt. Es war eines dieser Gespräche, bei denen man schnell merkt: Hier muss man nichts herauskitzeln – man muss einfach nur zuhören. Und genau das habe ich getan. Was bleibt, ist das Gefühl, jemandem begegnet zu sein, der mit beiden Beinen im Leben steht, ohne dabei den Blick fürs Wesentliche zu verlieren. Danke, Liv – für ein Gespräch, das nachhallt.

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Autor
"Wenn man einmal dem Metal verfallen ist, ändert man seine Gesinnung nicht einfach von heute auf morgen." ( Parramore McCarty, Warrior)