Manchmal braucht es keine großen Fragen oder kritischen Analysen – manchmal reicht es einfach, zuzuhören.
So ging es mir mit Amor Vincit Omnia, dem neuen Album von Liv Kristine – und ganz besonders mit diesem Interview. Im Gespräch mit Liv wurde schnell deutlich: Hier sitzt keine Künstlerin, die in eine Rolle schlüpft. Hier spricht ein Mensch – offen, mutig und ungeschönt. Genau deshalb habe ich mich bewusst zurückgenommen, um ihr den Raum zu geben, ihre Geschichte in ihren eigenen Worten zu erzählen. Ich wollte wissen, wie der Schreibprozess ablief – und Liv berichtete, wie sie aus 22 Kompositionen elf auswählte, die sich für sie wie eigene Kinder anfühlten. So begann eine kreative Reise, die sich ebenso spontan wie tiefgründig anfühlte. Dieses Interview war lang – fast 30 Minuten – und es war eine echte Herausforderung, jedes Detail einzufangen und niederzuschreiben. Aber es war mir wichtig, es ungekürzt zu lassen. Denn für Liv ist Authentizität kein leeres Wort, sondern ein Versprechen. Und echte Ehrlichkeit fasst man nicht in Fußnoten zusammen. Deshalb habe ich mich entschlossen dieses Interview in 2 Teile zu Spliten.
„Hi Liv, schön, dich mal persönlich kennenzulernen! Ich habe gerade schon mit Sascha Dannenberger – Gitarrist und Komponist – über die Entstehung des Albums gesprochen und auch über das Review, das ich zu deiner neuen Platte geschrieben habe. Hast du es zufällig gelesen?“
Liv: Ja, sicher – Sascha hat es mir gegeben.
Super! Dann haben wir ja schon einen guten Aufhänger. Ich war sehr erstaunt darüber, wie reduziert die Platte klingt – sie ist wirklich auf das Wesentliche konzentriert.
Liv: Ja, ja.
Sascha meinte, der ganze Prozess hat etwa zwei Jahre gedauert.
Liv: Ja, nicht einmal …
Wie war für dich der Prozess mit den Texten?
Liv:
Oh, also Sascha hat mir insgesamt – ich glaube – 22 Kompositionen geschickt. Ich habe gesagt: „Ich brauche elf.“ Für mich ist die Zahl elf irgendwie immer wichtig. Und dann habe ich elf Stücke ausgesucht – Lieder, die zu mir gesprochen haben, die sofort wie meine Kinder waren.
Ab dem Moment geht’s bei mir recht schnell. Wenn ich spüre: Mit diesem Stück kann ich arbeiten, dann mache ich das sofort. Teilweise habe ich bis zu vier Lieder an einem Tag geschrieben – inklusive Text und Melodie. Das geht bei mir wirklich zügig.
Natürlich ist das manchmal schwierig, weil ich einen 8-to-5-Job als Lehrperson in der Schweiz habe. Da kann man nicht einfach zu Hause bleiben und aufnehmen. Aber zum Glück gibt’s GarageBand. Ich fahre jeden Tag etwa eine Stunde mit dem Zug – in eine Richtung – und habe dort tatsächlich viele Dinge aufgenommen. Das war spannend, teilweise sogar lustig.
Du hattest also wirklich dein Material dabei und hast im Zug gesungen?
Liv: Ja! Aber nicht da, wo alle sitzen – ich habe mich dort aufgehalten, wo die Toiletten sind. Teilweise sogar direkt auf der Toilette. Und dort habe ich mit GarageBand aufgenommen. Später dann nochmal zu Hause.
Der Prozess war total fließend, sehr kreativ. Manchmal dachte ich nur: Wahnsinn, da sind schon wieder drei Lieder fertig – heute! Und dann hab ich’s direkt Sascha geschickt.
Er hat dann alles in Cubase umgesetzt. Ich selbst hatte keine Zeit, mich damit intensiv auseinanderzusetzen – das ist eine riesige Nummer. Vielleicht lerne ich das irgendwann noch. Aber so war es ideal: Ich habe aufgenommen, Sascha hat’s umgesetzt. Dann haben wir gemeinsam per Skype besprochen, was noch fehlt – er ist ja in Karlsruhe, ich in Luzern.
In etwa 95 % der Fälle bleiben Melodie und Text so, wie ich sie eingesungen habe. Danach sprechen wir nur noch über Details – braucht es zweite oder dritte Stimmen, wie soll der Ausdruck sein, solche Dinge.
Das Ganze war ein echter Prozess – mit viel Freude. Im Studio haben wir dann nur noch vier Tage gebraucht für die ganze Platte.
Vier Tage für ein ganzes Album – das ist wirklich nicht viel Zeit!
Liv: Nein, echt nicht. Aber es war einfach alles klar. Wir wussten genau, wo wir hinwollen – wir hatten die gleiche Vision.
Am fünften Tag haben wir dann spontan das Prelude, also das Intro zum Album, aufgenommen – einfach aus Spaß.
Sascha meinte nur: „Schrei mal ein bisschen – lass die Wagner-Göttin aus dir raus!“
Das war tatsächlich das einzige Stück, das ich nicht vorbereitet hatte. Aber ich finde, es ist richtig gut geworden.
Ich finde das Intro tatsächlich einen perfekten Einstieg.
Als ich es gehört habe, dachte ich sofort: Wow – das ist anders. Es hat eine klare Aussage, direkt von dir.
Du stehst ja als Solo-Künstlerin ohnehin oft im Vordergrund – aber ich finde, diese Platte hat nochmal eine ganz andere Tiefe.
Liv: Ja, das hat sie. Damals – zu River of Diamonds – war einfach viel los in meinem Leben. Ich lebte noch in Deutschland, hatte drei Jobs gleichzeitig.
Das Kapitel Leaves’ Eyes war abgeschlossen, ich musste umziehen und mich plötzlich allein finanziell um meine Familie kümmern.
Es war eine sehr turbulente Zeit.
Zu dieser Zeit hast du mir auch das letzte Interview für My Revelations gegeben. Wir haben sehr viel geplaudert – auch über dein damaliges Leben – und dann ging plötzlich alles ziemlich rasant bei dir.
Liv:
Ja, rasant trifft es gut. Ich habe das alles überhaupt nicht kommen sehen. Hätte ich es geahnt, hätte ich mich besser vorbereitet, mich irgendwie abgesichert.
Aber es war einfach plötzlich alles weg – alles, was ich hatte. Geblieben sind nur mein Sohn, mein Hund – und zwei Säcke. Das war’s.
War es dann auch quasi in der Rückbertrachtung ein poetischer Neuanfang?
Liv: Im Nachhinein – ja. Damals war es einfach nur der totale Bruch. Aber mit ein wenig Abstand… Man kommt zur Ruhe, man reflektiert.
Und das hört man auf dem Album auch. Es ist sehr persönlich geworden. Authentizität – das hast du dir ja auch notiert – das ist der Kern. Die Frequenz, um die es geht.
Also hast du heute wieder mehr Stabilität?
Liv: Ja, definitiv. Ich habe heute einen festen Job, ich arbeite viel in der Schweiz.
Ich lebe jetzt seit drei Jahren hier. Es ist nicht weniger stressig – aber es ist stabil.
Mein Sohn ist inzwischen erwachsen, dem Hund geht’s gut – und ich besitze heute weitaus mehr als nur zwei Säcke.
Und ich kann sogar ein bisschen darüber lachen – ein bisschen zynisch vielleicht, aber mit einer neuen Perspektive.
Ich sage heute: Es ist okay. Alles, was passiert ist, gehört zu meinem Weg.
Und genau darum geht es ja im Leben – um diesen Weg. Es gibt Licht und es gibt Dunkelheit. Sometimes life is broken, sometimes life is beautiful.
Wenn man das akzeptiert, erkennt man: Beides gehört dazu. Und nur dadurch finde ich heraus, wer ich wirklich bin.
Ich finde, du hast das musikalisch sehr geschickt gelöst – ich glaube, das hatte ich auch in meinem Review geschrieben.
Gerade im Vergleich zu deinen früheren Sachen – mit Leaves’ Eyes zum Beispiel – da war ja oft sehr viel Bombast, sehr viel Drumherum.
Diesmal hatte ich den Eindruck, es ist wie eine Essenz von dem, was dich ausmacht. Stimmlich bleibt alles erhalten – aber du flüsterst viel, hauchst viel…
Mich hat das total an alte Theaterzeiten erinnert. Natürlich hattest du solche Stilmittel auch in früheren Alben immer wieder mal drin – aber hier scheint es bewusster und präsenter.
War das eine gezielte Entscheidung?
Liv: Tatsächlich – nein. Da war nichts geplant. Es kommt einfach. Wenn Sascha mir ein Stück schickt – und ich sitze da an einem Samstagmorgen mit meinem Kaffee – dann passiert es einfach. Es kommt aus dem Moment. Und das wirklich Coole ist: Ich habe immer noch die gleiche Stimme. Das ist ein echter Segen.Ich kann heute noch auf das zurückgreifen, was ich 1995 gemacht habe. Das ist meine ursprüngliche Stimme – die Stimme, mit der ich als Kind gesungen habe. Mit drei, mit zehn, mit fünfzehn Jahren – sie ist immer noch da. Und dann gibt es da auch noch meine klassische Stimme. Die kam zu mir – ich habe sie nicht gezielt ausgebildet. Ich habe nie Musik studiert. Es war für mich nie notwendig. Ich wusste einfach: Ich habe hier etwas zu tun. Das gehört zu meiner Authentizität. Ich habe etwas anderes studiert – aber die Musik war immer ein Teil meines Lebens. Sie war einfach da.
Du hast Germanistik studiert, oder?
Liv: Ja, und Anglistik – an der Universität Stuttgart. Aber die Musik war immer da. Und auch die Stimme – die war immer da.
Ich hatte auch nie Bühnenangst. Sprechen vor Leuten, das war in der Schule furchtbar für mich. Aber singen? Kein Problem.
Da wusste ich: Das ist meins. Das ist mein Weg.
Und alles, was seitdem passiert ist – war nie geplant. Ich habe noch nie ein Album geschrieben, komponiert oder aufgenommen, weil es die Plattenfirma wollte.
Oder weil ich Geld brauchte, oder weil ich irgendeine neue, coole Rockstar-Identität wollte. Auch nicht wegen einem möglichen Chart-Einstieg.
Ich sehe das so – und ich stehe dazu:
Stell dir vor, du hättest das Album richtig schlecht gefunden – du würdest es mir vielleicht nicht direkt sagen…
Aber es gibt Leute, die sagen: „Das ist mir zu ruhig“, oder: „Das ist nicht mein Ding.“
Ich weiß genau, was du meinst. Natürlich wird es Kritiker geben, die sagen: „Das ist mir zu wenig hart.“ Oder „Zu still.“
Liv: Und trotzdem – auch für die ist es Kunst. Es ist Musik. Und am Ende muss ich dazu stehen. Dann ist es okay.
Ja – genau. Dann ist es okay.
Liv: Ich mache kein Album, damit alle applaudieren. Weil das ist nicht möglich. Das geht gar nicht. Ich will keine Show abziehen – ich will kein Fake sein.
Und genau deswegen wirkt es so ehrlich. Klar, manche werden sagen wie; „Warum macht sie gerade nichts in der Härte wie damals mit „Cradle of Filth?“ Aber du nimmst den Kritikern einfach den Wind aus den Segeln – Weil man sofort hört: Das hier ist deins. Und das spürt man. Egal, was jemand darüber sagt. Weisst du, was ich meine?
Liv: Danke dir. Ja. Und das sind dann diese Momente – wenn ich lese, was du geschrieben hast. Wenn ich spüre, welche Mühe du dir gegeben hast…Dann denke ich: Yes. Dann weiß ich, warum ich immer noch hier bin. Weil es da diese Verbindung gibt. Wir treffen uns irgendwie – auf einer Ebene.
Das stimmt absolut.
Liv Kristine zeigt sich in diesem Gespräch genau so, wie sie wirklich ist: ehrlich, nahbar und mit einer beeindruckenden Echtheit, die tief in ihrem Wesen verwurzelt ist. Diese Authentizität spiegelt sich auch in ihrem neuen Album „Amor Vincit Omnia“ wider. Ihre offene Art und die echte Verbindung zu ihren Songs machen das Werk zu etwas ganz Besonderem.
Im nächsten Teil des Interviews tauchen wir noch tiefer ein – ich befrage sie zu den poetischen Ansatz, das Frauenbild in der Metalszene und Livs ganz persönliche Sicht auf Authentizität und Entwicklung. Bleibt dran!