Wir werden alle nicht jünger. Ich weiß, die fünf Euro für das Phrasenschwein sind mit einkalkuliert bei dieser Einleitung, aber wenn man über einen Künstler wie ALICE COOPER spricht kommt man um dieses Thema einfach nicht herum.
Seit 60 Jahren (!) ist der Mann im Geschäft, hat so ziemlich alle Höhen und Tiefen des Showbusiness durchgemacht, war Stargast in der Muppet Show, hat unzählige Platten veröffentlicht und locker an die 50 Millionen Alben verkauft. Das er mit seinen 76 Jahren hier und heute auf der Bühne steht geht wohl auch damit einher, dass er seit 40 Jahren einigermaßen „clean“ ist. Zumindest gab es seit dem keine Rückfälle mehr ins Alkoholiker-Dasein (wenn man denn seinen Worten Glauben schenkt).
Im letzten Jahr, 2023, veröffentlichte er sein aktuelles Album „Road“, zudem es auch direkt eine Tour gab mit schlappen 60 bis 70 Konzerten in Nordamerika. Nun folgt der europäische Teil der Tournee mit dem Titel „Too Close To Comfort“.
Der Sommer 2024 in Hamburg gehört zur Kategorie „sehr wechselhaft und eher nasskalt“. Strahlender Sonnenschein über mehrere Tage haben Seltenheitswert, und auch wenn die gelbe Kugel mal ordentlich brutzelt kann man sich nicht sicher sein, ob der Abend nicht doch noch mit orkanartigen Böen und Starkregen endet. So beginnt der Abend dann auch heute im gleißenden Sonnenlicht, aber dunkle Wolken sind bereits am Horizont zu erkennen.
BLACK MIRRORS aus Belgien starten den Abend pünktlich um sieben Uhr, und das Rund im Stadtpark ist bereits gut gefüllt. Mit der Band oder dem Songmaterial bin ich so gut wie gar nicht vertraut, lediglich die Info, dass das Quartett amtlichen Bluesrock zockt und eine Dame ins Mikro röhrt liegt mir vor.
Und Marcelle Di Troia, so der Name der Frontfrau, legt gleich gut los und hat das Publikum im Griff. Der klassische Rock wird mit einem Funken Räudigkeit versehen und hebt sich so von der Hochglanz Mucke ab, die später noch folgen wird. Auch der Sound ist klar und deutlich im Stadtpark zu vernehmen, das habe ich auch schon ganz anders erlebt.
BLACK MIRRORS nutzen ihre Chance vor einem großen Publikum zu spielen, auch wenn dieses in hohen Maßen keinen Bezug bisher zu der Band hatte. So vergeht der Set auch sehr zügig und kurzweilig, da die Belgier keine großen Pausen machen und die Musik für sich sprechen lassen. Und auch wenn das Publikum sich typisch-nordisch eher zurückhält mit dem Unbekannten gibt es großen Applaus wenn die Songs vorbei sind.
Die Bühne ist mit einem Vorhang vor neugierigen Blicken geschützt, die Aufbauten sind schemenhaft zu erkennen und ein letzter kurzer Linecheck ist ebenfalls erfolgt. Allein: das Konzert startet nicht. Erst im Nachhinein erfahre ich, dass es einen medizinischen Notfall gab, der die Verzögerung von knapp 30 Minuten verursachte. Nähere Infos gab es aber nicht.
Aber dann geht es eben doch los. Zwei Pestdoktoren klingeln die Bühne frei und ein großes Plakat verrät uns, dass ALICE COOPER aus Deutschland verbannt ist! Schockschwerenot, stimmt das wirklich? Vor allem, weil der Rest seiner Band bereits über die Bühne turnt?
Natürlich nicht. Ein erstes Show Element, dem noch viele folgen sollten am heutigen Abend. Der Einstieg gelingt mit „Lock Me Up“ und „Welcome To The Show“, einem Track vom letzten Album „Road“.
Wer sich jetzt berechtigt Hoffnung macht, dass Mister Cooper auch den ein oder anderen Track neueren Datums spielt, kann diese gleich wieder beerdigen. „Welcome To The Show“ bleibt das einzige Lied, das von den letzten 9 Platten („Road“, „Detrot Stories“, „Paranormal“, „Welcome 2 My Nightmare“, „Along Came A Spider“, „Dirty Diamonds“, „The Eyes Of Alice Cooper“, „Dragontown“ und „Brutal Planet“) dargeboten wird!
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ab jetzt nur noch ein Greatest Hits Abfeiern folgt. Ich persönlich bin ja eher ein Freund davon, dass auch neueren Stücken Raum gegeben wird, und der ein der andere Klassiker dann mal eben aus der Setlist fliegt. Die Tickets an der Abendkasse liegen bei knapp EUR 100,- (!). Es muss hier jeder für sich entscheiden, ob der Preis dafür gerechtfertigt ist.
Natürlich bekommt man auch einiges an Spektakel auf der Bühne zu bestaunen. Eine lebende Schlange, die Guillotine kommt zum Einsatz, ALICE COOPER in einer Zwangsjacke…….nur, das kommt mir alles sehr bekannt und vertraut vor. Die Elemente sind passend zur dargebotene Musik, die aber eben auch schon alle 30 Jahre auf dem Buckel haben, mindestens! Da das Durchschnittsalter im Publikum bei ca. 45 Jahren liegt, kann man also davon ausgehen, dass die meisten hier schon einmal eine Konzert von ALICE COOPER gesehen haben. Hätte ich den vollen Eintritt gezahlt, ich hätte mich geärgert.
Was ich auch bis heute nicht verstehe: warum man drei Gitarristen für den eher durchschnittlichen „Shock Rock“ benötigt. Klar, jeder der drei Axtschwinger, Tommy Henriksen, Ryan Roxie und vor allem Nita Strauss, sind ausgewiesene Experten und begnadete Gitarristen. Dies dürfen sie auch abwechselnd in den Soli zur Schau stellen. Aber Songs wie „Snakebite“, „Be My Lover“ oder „Cold Ethyl“ bestechen weder durch filigranes, progressives Gitarrenspiel, noch durch eine massive Gitarrenwand.
Genug der Nörgelei! ALICE COOPER live im Jahre 2024 ist immer noch Rock Unterhaltung auf einem sehr hohen Level. Die Gesangsqualitäten von ALICE COOPER sind für einen Herrn seines Alters über jeden Zweifel erhaben. Die Band ist auf den Punkt eingespielt, zeigt Spielfreude und nutzt das weite Areal der Stadtpark Bühne. Und wer Klassiker wie zum Beispiel „Poison“, „I’m Eighteen“ und „Welcome To My Nightmare“ im Repertoire hat brauch sich auch mit Mitte 70 nirgendwo verstecken.
Der zwischenzeitliche einsetzende Regen trägt allerdings nicht zur guten Stimmung bei. Und auch generell verhält sich das Publikum etwas reserviert am heutigen Abend. Klar, in den ersten Reihen stehen zahlreichen Die Hard Fans, teilweise sogar entsprechend geschminkt, aber schon kurz dahinter verebbt das Enthusiasmus Level doch gehörig. Erst zum Ende hin kommen die Massen in Stimmung und der Abend endet versöhnlich.