VELJANOV, DIE KAMMER / SCHLACHTHOF, WIESBADEN

Billing

Veljanov, Die Kammer

Ort

Schlachthof, Wiesbaden

Datum

03.11.2024

Bilder

Jennifer Merkt

 

Ein Ort wie gemacht für musikalische Intimität. Der November zeigte sich draußen kühl – drinnen im Kesselhaus des Schlachthofs Wiesbaden aber herrschte eine andere Atmosphäre: Warm, fast familiär. Das Konzert von VELJANOV mit Special Guest DIE KAMMER bot den perfekten Soundtrack für einen melancholischen Herbstabend – zwischen leiser Dunkelheit, verspieltem Charme und tiefem Gefühl. Das Kesselhaus, ein kleiner Raum mit industriellem Charme und hervorragender Akustik, verwandelte sich für diesen Abend in einen Salon der Schwermut – auf die schönste Weise.

Pünktlich zum Einlass strömten die ersten Gäste in den Saal, der sich rasch füllte. Um 20 Uhr betraten vier Musiker von DIE KAMMER die Bühne – in reduzierter Besetzung, aber keineswegs mit weniger Ausdruck. Im Zentrum standen Sänger Marcus Testory (Gründungsmitglied von ASP)  und Gitarrist Matthias Ambré, unterstützt von Bassist Bergmann und Cellist Cellini, bekannt aus der Gothic-Rockband LETZTE INSTANZ. DIE KAMMER spielen seit ihrer Gründung 2011 mit kammermusikalischen Instrumentierungen, dramatischer Theatralik und poetischen Texten. Ihr aktueller Auftritt markierte den Beginn der V. Schaffensphase (die Formation teilt ihre Schaffensperioden und Veröffentlichungen nach Seasons ein), wie Sänger Marcus beim Song „Ignoring My Saveword“ mit einem Augenzwinkern ankündigte – ein Lied, das die dunkle Romantik des Abends früh skizzierte. „Verführung auf die dunkle Seite des schwarzen Schleiers“ – mit dieser fast literarischen Umschreibung beschrieb Marcus den nächsten Song „Black Vail Of Eternity“, der seinem Titel gerecht wurde: düster, bittersüß und getragen von Cello und Bass.

Visuell blieb es spannend: Marcus Testory, später mit offenem Hemd und expressiver Körpersprache, kontrastierte mit dem introvertiert wirkenden, aber ausdrucksstarken Bassisten Bergmann – stets mit Sonnenbrille, fast wie ein Schatten im Klangraum. Ein atmosphärischer Höhepunkt war „I Am Leaving Now“, eingehüllt in rotes Licht und elektronische Sequenzen. Marcus sang mit geschlossenen Augen, fast entrückt – das Publikum lauschte atemlos. Mit feiner Ironie führte Matthias durch das Programm.

Er erzählte von einem „barfüßigen Cowboy und seinen Katzen“ (oder sowas in der Art, auf jeden Fall schmunzelte das Publikum) – eine launige Überleitung zum philosophisch-ernsten „Faith Is Just An Old Word“. Einer der bewegendsten Momente kam mit „The Orphanage“ und „Ago“, dessen Eröffnungslinie – „We were sleeping gently in a bed of snow“ – wie ein Flüstern durch den Raum ging. Der Applaus für das mir schon vorher bekannte Quartett war überwältigend, fast ehrfürchtig. Verdient!

Um 21 Uhr schließlich betrat Alexander VELJANOV (Ausnahmesänger von DEINE LAKAIEN) die Bühne – in schwarzer Lederjacke, aufrecht, präsent, mit dieser unverkennbaren Stimme, die dunkle Sehnsucht und zeitlose Eleganz vereint. Der gebürtige Mazedonier nutzt sein Solo-Projekt seit Ende der 90er um seine persönliche Klangwelt zu entfalten – cineastisch, stilvoll, oft intimer als mit dem Hauptprojekt. Begleitet wurde er von einer starken Band mit Keys, Gitarre, Drums und dezenten elektronischen Sequenzen, die den Songs eine moderne, warme Tiefe verliehen.

Der Einstieg war schwungvoll mit „Street Live“, allerdings mit einem charmanten kleinen Patzer. VELJANOV kündigte den Song einmal falsch an und gestand dann offen: „Ich bin etwas verwirrt… aber das ist vielleicht auch das Schöne heute Abend.“ Er blickte ins Publikum – etwa 200 Menschen, die gebannt lauschten – und sagte:
„Ich freue mich über diese kleine, feine Runde“. Ein besonders bewegender Moment kam mit „Where You Are“, einem Song über die Fragilität der Liebe. „Wenn es um Liebe geht, kann es auch anders ausgehen“, kommentierte VELJANOV – und sang mit geschlossenen Augen. Später wurde es plötzlich heiter: Ihm wurde heiß unter der Lederjacke, und er fragte spontan: „Wo ist mein Jacket?“ Das Publikum rief augenzwinkernd, er solle sich doch ausziehen – „Nein!“, lachte VELJANOV – und blieb bei Stil statt Strip. Die Crew brachte ihm schließlich sein elegantes Bühnenjacket, das er liebevoll über den Notenständer hängte mit den Worten: „Bleib da…“ Kurz darauf verschwand er kurz von der Bühne, um sich umzuziehen – ein charmanter Moment zwischen Glamour und Menschlichkeit. „Lass Mich (Dein Lakai Sein)“, einer der emotionalsten Songs des Abends, wurde vom Publikum begeistert aufgenommen – viele sangen mit, einige hielten ihre Smartphones in die Luft. Eine stille Hommage an DEINE LAKAIEN und die lange Reise, die VELJANOV mit seiner Musik bereits zurückgelegt hat.

Die Kombination von DIE KAMMER mit ihrem akustischen, teils ironischen Pathos: Charme, Humor und Tiefgang und VELJANOV mit seiner aristokratischen Eleganz, mit Eleganz, Stimme und Poesie war ein gelungener Kontrast und zugleich eine harmonische Einheit. Beide Acts zeigten, dass Melancholie, Tiefgang und Theater in der Musik lebendig sind – gerade, wenn sie live auf so nahbare Weise präsentiert werden. Das Kesselhaus in Wiesbaden war an diesem Abend kein bloßer Konzertort, sondern ein Salon für Kunst – intensiv, atmosphärisch und mit viel Herz.

Farbe egal: Hauptsache: schwarz!