LIV KRISTINE, RAVENSTINE, VINYLCAFE SCHWARZES GOLD / DORSTEN

Billing

LIV KRISTINE / RAVENSTINE

Ort

Vinylcafe Schwarzes Gold

Datum

26.04.2025

Bilder

Mario Loeb

Als ich meine Review zum neuen Album „Amor Vincit Omnia“ schrieb, war ich gespannt, wie Liv Kristine die Tiefe und Intimität der Platte auf der Bühne umsetzen würde. Die Wahl der Location – eine alte industrielle Schreinerei auf dem Zechengelände Fürst-Leopold in Dorsten-Hervest, in der seit 2016 das „Schwarzes Vinyl“ beheimatet ist – erschien mir zunächst ungewöhnlich. Doch schon beim Betreten wurde mir klar, wie sehr dieser Ort mit seiner rohen, unverfälschten Ausstrahlung zum Charakter des Abends passte. Ob bewusst oder unbewusst: Man hatte einen Platz gewählt, an dem einst mit den Händen kreativ gearbeitet wurde. Nach der Schließung war dort auch der Künstler Norbert Then mit seiner Kreativ-Werkstatt ansässig – ein Sinnbild für schöpferische Prozesse, wie sie auch ein Album durchläuft. Musik entsteht schließlich nicht nur durch Technik und Handwerk, sondern ebenso durch Vorstellungskraft und Emotion. Die Umgebung verlieh der Präsentation von „Amor Vincit Omnia“ eine glaubhafte Authentizität. Vielleicht war das nicht geplant – aber genau diese Echtheit wurde zum Herzstück des Abends. „Nix ist fake, nix ist gefällig“, erinnerte ich mich an meine eigenen Worte aus der Album-Review.

Die Stimmung war warm und familiär. Während sich draußen in der Frühlingssonne bereits erste Gäste im Außenbereich versammelt hatten, füllte sich auch die Halle langsam mit etwa 100 Besucherinnen und Besuchern – eine Zahl, die genau das richtige Maß an Intimität versprach. Es fühlte sich ein wenig an wie ein Klassentreffen – allerdings eines, bei dem sich Menschen nicht über Vergangenes, sondern über ihre gemeinsame Liebe zur Musik begegneten. Hier war niemand zufällig anwesend, und mit vielen, mit denen ich sprach, verband eine echte Zuneigung zur Künstlerin.

Zu Beginn war ich skeptisch, ob die Akustik der Location halten würde, was die Atmosphäre versprach. Doch diese Zweifel verflogen schnell, als RAVENSTINE den Abend eröffnete. Die Lautstärke war angenehm und dennoch kraftvoll genug, um die Energie der Songs zu transportieren. Die Band, während der Pandemie von Gitarrist Martin Sosna und Bassist John A.B.C. Smith gegründet, war mir bis dahin unbekannt – soweit meine Recherche reicht. Schon der Opener setzte ein klares Zeichen und ging gut nach vorn. Sänger Žanil Tataj, dessen Stimme stark an BRUCE DICKINSON erinnerte und seine Bandkollegen beherrschten ihr Handwerk sichtlich. Trotzdem verlor mich RAVENSTINE im Verlauf des Sets ein wenig. Zwar waren alle Songs musikalisch einwandfrei, schafften es aber nicht nachhaltig bei mir Eindruck zu hinterlassen. Dem Publikum – viele im Bandshirt – tat das keinen Abbruch. Es genoss den Auftritt sichtlich.

Ohne große Umbaupause ging es weiter – der Hauptact stand an. In Wrestling-Fansprache: Jetzt kam der „Main Event“.

Wie auf dem Album begann LIV KRISTINE mit „Prelude“ und „Amor Vincit Omnia“ – und sofort veränderte sich die Atmosphäre im Raum. Eine intensive Verbindung breitete sich aus, fast greifbar zwischen Bühne und Publikum. Die Frage, ob die emotionale Tiefe der neuen Songs auch live funktionieren würde, konnte ich schnell mit einem klaren „Ja“ beantworten. Der Sound war perfekt auf die feinfühlige Emotionalität der Stücke abgestimmt. Live wirkten viele der Songs sogar noch unmittelbarer als auf dem Album. Für einen Moment fühlte ich mich zurückversetzt ins Jahr 1998 – in jene Zeit, als ich LIV KRISTINE zum ersten Mal live erleben durfte. Nicht, weil sich etwas wiederholte, sondern weil sie es auch heute wieder schafft, mit ihrer Stimme eine emotionale Wucht zu erzeugen, die berührt.

Liv Kristine ist eine „Menschenfängerin“ im besten Sinne: Mit ruhiger, fast meditativer Ausstrahlung stand sie auf der Bühne – und war dennoch vollkommen präsent.
Ihre Band – darunter Komponist Sascha Dannenberg, der die Gitarrenseite zum Schwingen brachte, sowie Livs Ehemann Michael Espenas als Gastsänger agierte respektvoll und harmonisch, manchmal beinahe zurückhaltend, aber stets souverän. Nichts wirkte inszeniert, nichts aufgesetzt, alles war echt.

Die Duette mit Michael Espenas hinterließen bei mir einen gemischten Eindruck – sorry dafür, Michael. Während „Amor Vincit Omnia“ als Opener sehr stimmig war und spürbar wurde, dass Michael diesen Part auch auf dem Album eingesungen hatte, wirkte er bei „Venus“ (THEATRE OF TRAGEDY) als vorletztem Song etwas zurückhaltender, vielleicht sogar leicht unsicher. Liv erklärte gleich zu Beginn, dass sein Auftritt als spezieller Gastmoment gedacht sei, was für mich völlig in Ordnung war. Vielleicht lag es auch am Bühnensound: Bassist Roland Bliesener erzählte mir nach dem Konzert, dass er sich selbst nur schwer hören konnte, da er im eigenen Soundschatten stand. Da auch Michael in dieser Bühnenecke stand, ist es denkbar, dass er ähnliche Probleme hatte – besonders bei Songs, an denen er nicht selbst beteiligt war. Ich hätte mir auf der Bühne etwas mehr Dynamik gewünscht, aber das ist angesichts der beengten Verhältnisse nachvollziehbar. Was mich besonders beeindruckte: Die neuen Songs fügten sich mühelos ins bestehende Repertoire ein. Klassiker wie „Machine“ und „Image“ aus ihrer Solo-Karriere trafen auf THEATRE OF TRAGEDY Stücke wie „Venus“ und das abschließende „Tanz der Schatten“, das das Publikum stimmungsvoll in die Nacht entließ. Besonders überrascht war ich, dass mit „Norwegian Lovesong“ auch ein LEAVES´ EYES-Klassiker auf der Setlist stand – eine schöne Geste für langjährige Fans. Obwohl die neuen Stücke emotionaler und intimer sind, entstand kein Bruch im Set. Im Gegenteil: die subtilen Nuancen ergänzten das bestehende Werk und zeigten, dass musikalische Reife nicht Abstand bedeutet, sondern Tiefe.

Und dann ist da noch Livs Stimme:ihr Sopran – klar und kontrolliert wie eh und je – wirkte fast mantraartig Besonders berührend waren die kleinen Nuancen, ein Flüstern, ein Hauch,diese Fähigkeit, Emotionen so eindringlich zu transportieren, hebt sie von vielen Kolleginnen ab. Diese filigranen Details gingen live gelegentlich etwas unter, vor allem in den Duetten, aber Livs Stimme blieb das unerschütterliche Zentrum des Abends. Fast so, als würde sie aus einer inneren Welt heraus singen und dennoch jeden Einzelnen erreichen.

Fazit

Auch thematisch blieb das Konzert seinem roten Faden und dem Inhalt des neuen Albums treu: Liebe, Heilung, Natur und Reflexion wurden nicht plakativ vermittelt, sondern spürbar gemacht. Liv erzählte viel zu ihren Songs – sehr sympathisch und erneut absolut authentisch. Es wirkte, als sei es ihr ein persönliches Anliegen, jedem im Raum ein Stück ihrer Kraft weiterzugeben. Ich bin sicher, nicht nur mir ging es so. Besonders war für mich die Erkenntnis, dass die Gothic-Metal-Szene zwar kleiner geworden ist, aber nach wie vor von echten, loyalen Seelen lebt. Es ging dabei nie nur um düstere Bilder oder Verfall – sondern stets um tiefe Gefühle und menschliche Verbindung.

Und genau dieses Gefühl vermittelte auch das gesamte Team von Liv Kristine:Anstatt sich nach der Signing-Session hinter die Bühne zurückzuziehen, blieben Liv und ihre Band bis zum Schluss unter den Gästen! Keine flüchtigen Abschiede, keine routinierten Gesten. Sie nahmen sich Zeit für Gespräche, Autogramme, Fotos – für echte Begegnung. Bis sich die Türen des „Schwarzen Vinyl“ schließlich schlossen, mischten sich LIV KRISTINE und ihre Musiker unter die Besucher – fast so, als wären sie selbst Gäste auf einer sehr persönlichen Feier.

Und auch in diesem Moment galt uneingeschränkt:
„Nix ist fake, nix ist gefällig.“

Setlist LIV KRISTINE

  • Intro / Prelude
  • Amor Vincit Omnia (Gast: Michael Espenas)
  • Love Decay
  • Image
  • Machine
  • Norwegian Lovesong
  • Sapphire Heaven
  • Shaolin Me
  • River of Diamonds
  • Hold It With Your Life
  • 12th February
  • Venus (Gast: Michael Espenas)
  • Tanz der Schatten (Gast: Michael Espenas)
Autor
"Wenn man einmal dem Metal verfallen ist, ändert man seine Gesinnung nicht einfach von heute auf morgen." ( Parramore McCarty, Warrior)