Wenn Kultur, Kultur frisst oder die Geschichte eines sterbenden Metal-Geistesleben Teil 2

Teil 2 – Event, Event, wir brauchen mehr Events!

Wer ist denn eigentlich schuld an der ganzen Misere? Nun ja, vor allem wir Metaller selbst, die wir diesen Wahnsinn doch seit Black Sabbath über Generationen mitmachen, unterstützen und unsere letzten Pennys für T-Shirts und Konzerttickets rausschmeißen. Das schlimme daran ist, wir können es leider nicht mehr selber beenden, aber dazu später mehr. Tatsache ist, wir haben den Karren angeschoben und dann Berg runter rollen lassen. Stoppen kann man das nicht mehr und ich befürchte der Schaden, der dieses Mal entstehen könnte, wird größer sein als der, mit dem die Metalszene bereits Anfang der Neunziger schon einmal zu kämpfen hatte, denn diesmal ist die Blase größer, die platzen wird. Aber keine Angst der Patient wird überleben, soviel sei auch schon mal vorneweg gesagt.

Wacken

„Die Revolution frisst also ihre eigenen Kinder“ in diesem Falle. Besser als an der Kleidung kann man den Niedergang anhand von Konzerten und Festivals festmachen. Nehmen wir einmal“Wacken“ als Beispiel. Es wird als größtes Metalfestival überhaupt bezeichnet und die Dimensionen, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, sind atemberaubend. Aber wenn wir wirklich einmal ehrlich sind und tief in uns gehen, kann man dann hier wirklich noch von einem Metalfestival sprechen? Ich würde die Frage mit einem klaren „Nein!“, beantworten. Dabei ist das eigentlich noch nicht mal böse gemeint, aber genau „Wacken“ zeigt den Weg auf, warum aus einem Metalfestival eine Metal-Wies’n geworden ist.

Wenn man nämlich zu den Besten und zu den Größten gehören will, muss man den Leuten eben etwas anderes bieten als nur“Metal“, denn die Bands sind eigentlich seit den Achtzigern bzw. Neunzigern, ja sogar bis in die Siebziger hinein immer dasselbe. Ich bin mir tatsächlich am überlegen eine Bingo-Karte zu entwickeln! Aufzählung der letzten Jahre gefällig? Ein kurzer Überblick über die Dauerbrenner in Wacken bis 2015 reicht aus, um zu verdeutlichen, auf was ich hinaus will:

Wacken

Subway To Sally 10
Mambo Kurt 10
Saxon 8
Grave Digger 7
Doro 7 (2014 kein kompletter Auftritt)
Overkill 6
Primal Fear 6
Nevermore 6
Children Of Bodom 7
Gamma Ray 6
In Flames 7
Edguy 6
Hammerfall 7
Motörhead 7
In Extremo 7

(ohne Gewähr!)

Das sind nur die Bands, die sowieso schon mindestens sechsmal Teil des Line-Ups waren. Nehmen wir die Bands, die vier bis fünfmal da gespielt haben, bekommen wir das Bingo schnell voll. Wenn wir das noch mit allen anderen Festivals, die es allein in Deutschland so gibt, kombinieren, sind es gerade auf der Midcard und bei den Headlinern immer dieselben Bands, die spielen. Das liegt einfach daran, dass „wir, die Metaller“ sie sehen wollen und unbekannten Bands kaum unsere Aufmerksamkeit auf den Festivals schenken. Ich habe mich die letzten Jahre schon so oft dabei erwischt, dass ich mich sagen hörte: „Schon wieder Slayer!“, oder: „Schon wieder Arch Enemy!“. Bei Subway to Sally ganz schlimm, ich kann sie nicht mehr sehen! Aus diesem Grund, weil die Bands sich so oft auf den Festivals wiederholen, müssen sich die Veranstalter, wie auch die des „Wacken-Festivals“, etwas anderes einfallen lassen, um zu den größten zu gehören. EVENT!!!! ist das Stichwort. Die Musik auf solchen Mega-Events ist leider längst nur noch Beiwerk! Karibikkreuzfahrten, Wettsaufen, Bungeespringen, Ski-Ausflüge, Ibiza-Reisen, Luxus-Zelten, Special-VIP Tickets, was da nicht alles angeboten wird! Das ist ja im Grunde auch nicht schlimm, wird aber zu einem Megaproblem für den Underground und die kleinen Bands und Festivals.

Wir sind selber schuld am Kult!!

Das klingt verrückt, aber genau das ist in „Wacken“ zu sehen. Die einfachen Metaller und Festivalbesucher haben das „Wacken“ zu dem gemacht, was es ist und plötzlich, auch durch die gute PR des“Wacken Open Airs“, wurde der Metaller als das dargestellt, was er im Herzen ist: Ein musikfanatischer Mensch mit Riesenherz, der eigentlich sehr offen ist. Das wollte man sich als“Normalbürger“ natürlich nicht entgehen lassen. Der böse Metaller zum anfassen. In den letzten zwei Jahren kam ich mir vor, wie ein Affe im Zoo, wenn Besuchergruppen an einem vorbeizogen. Da hat nur das:“Bitte nicht füttern!“- Schild gefehlt. Und dann kam es eben, wie es kommen musste: das Festival sah seine Chance und passte sich genau dieser neuen Welle an Besuchern an, um sie wirtschaftlich zu erschließen. Ein ganz neuer Markt wurde eröffnet und man kann den Veranstaltern, als Profiteuren, aus diesem Gesichtspunkt nicht mal richtig böse sein. Allerdings ist es für mich und tausende Altmetaller ein Graus mit anzusehen, wie plötzlich Santiano oder Heino sich die Bretter mit jenen teilen, welche für uns Helden waren oder sind. Mir geht es nicht darum über diese Musiker schlecht zu reden, aber sie stehen auch für all das, warum ich jemals anfing schwarze Klamotten zutragen: Sorry, da können jetzt wieder viele sagen, dass ich eine Spaßbremse bin, aber ich kaufe weder Heino die Nummer ab, dass er das auch nur ansatzweise mit Spaß macht, was er da tut, noch werde ich mich überzeugen lassen, dass eine mittelmäßige Coverscheibe dafür ausreicht, um sich auf eine Stufe mit DIO oder Lemmy stellen zu dürfen. Er selber macht es nicht, aber es gibt Verteidiger der Heino-Platte, die dieses Sakrileg begehen. Es ist doch irgendwo verrückt auf einem Metal-Festival zu stehen und Leute mit Heino-Shirts nach Bands wie Dio, Anthrax oder Deep Purple zu fragen und nur ein Schulterzucken zu kassieren. Ich habe es ausprobiert. Nein: „Titten!!!“ ist da auch die falsche Antwort. Da der Mensch und da zähle ich mich auch dazu ein Gewohnheitstier ist, will er die Bequemlichkeiten des“Events“ auch nicht mehr missen und nimmt es billigend in Kauf sich solche Dinge antun zu müssen denen man doch eigentlich immer versucht hat aus dem Weg zu gehen. Das bedeutet gleichzeitig, dass die „normalen“ Festivals sich anpassen müssen, oder die Besucher bald ausbleiben. Die Folgen für den Underground sind enorm und da sind sich viele nicht darüber bewusst. Übrigens gehört auch das Wort „Underground“ stellenweise nur zur einer geschickten Marketingumschreibung, die versucht einen Gegenpol zu besagtem Dilemma zu suggerieren.

 

Autor
"Wenn man einmal dem Metal verfallen ist, ändert man seine Gesinnung nicht einfach von heute auf morgen." ( Parramore McCarty, Warrior)