Mit „Castaway Angels“ gab es im September bereits den ersten Hinweis darauf, dass die Norweger von LEPROUS an neuem Material arbeiten. Die wunderschön melancholische und teils schon poppige Ballade gab schon da Anlass zur Annahme, dass sie den mit „Pitfalls“ eingeschlagenen Weg weiter beschreiten und sich soundmäßig noch mehr vom Metal entfernen könnten. Der Nachfolger „Aphelion“ ist trotzdem alles andere als vorhersehbar.
Der Opener „Running Low“ erweist sich als Meisterwerk in Sachen Spannungsaufbau und wie eine Band ihren Sänger in Szene setzt. Die Stimme von Einar Solberg klingt streng genommen in ihrer teilweise schon feminin wirkenden Weichheit untypisch für Metal, über weite Strecken erinnert sie gar an Morten Harket von A-Ha. Die Gitarren setzen Akzente, bestimmen aber selten das Gesamtbild. Streicher, mal melancholisch, mal bombastisch wie in einem Blockbuster-Soundtrack und das Klavier, haben ebenso ihren Platz im Sound von LEPROUS – oder eben auch Synthesizer, wie im grandiosen „Silhoutte“. „All The Moments“ täuscht zwar zu Beginn Bottleneck-Gitarren-Flair an, aber wie allen Songs des Albums gilt auch hier, dass die Einleitung des Songs keinen Rückschluss darauf zulässt, wie er weiter verlaufen wird. Das Riff von „The Silent Revelation“ zum Beispiel hätte in den Fingern einer geradliniger agierenden Band einen Indierock-Tanzflächenfüller ergeben, aber schon nach wenigen Sekunden zeigt die Rhythmusfraktion, dass sie anderen Gesetzen folgt. Eines dieser Gesetze scheint zu sein, dass in einem Song der Weg das Ziel ist und er letztlich in einer alles verzehrenden Klimax explodieren muss. „On Hold“ entfaltet diese Kunst in voller Pracht. Mit dem schon beschriebenen „Castaway Angels“ holt „Aphelion“ noch einmal Luft, bevor mit „Nighttime Disguise“ das bombastische Finale folgt. Interessant ist „Nighttime Disguise“ nicht nur aufgrund seiner irrsinnigen Komposition, sondern auch seiner Entstehungsgeschichte. 24 Stunden lang befand sich die Band im Livestream und ließ Fans am Songwriting mitarbeiten. Leider habe ich diesen Stream nicht verfolgt, aber das Ergebnis spricht definitiv für sich. Der musikalische Ritt durch Genres und Emotionen und gestaltet sich hier noch diverser und abenteuerlicher, und führt auch am nächsten an Metal-Gefilde heran – gerade wenn Einar Solberg sich gegen Ende zu Screams versteigt, die auch seinem Schwager, Großmeister IHSAHN, gut zu Gesicht stünden.
Das Label „Progressive Metal“ hat in den vergangen Jahren immer weiter an Aussagekraft verloren, im Fall von LEPROUS führt es zunächst ganz in die Irre, denn der Metal findet sich hier teilweise nur mit der Lupe. Wie erklärt man jetzt die Musik auf „Aphelion“ einem Menschen, der LEPROUS noch nie gehört hat? Es klingt ein wenig, als hätte sich eine metalaffine Jazzband gemeinsam mit Morten Harket in Satans feinem Herrenzimmer eingeschlossen, um dort einen depressiven James-Bond-Soundtrack aufzunehmen. Dass mich nicht jeder Song emotional gleichermaßen abholt, ist der einzige Grund, hier nicht die Höchstwertung zu geben. Die Klasse dieses Albums, die Fähigkeiten der einzelnen Musiker, insbesondere von Sänger Einar Solberg, kann niemand ernsthaft bestreiten, der sich mit Musik beschäftigt. Alles andere ist eine Frage des Geschmacks.
LEPROUS – APHELION
Fazit
LEPROUS gehen ihren Weg konsequent weiter! Eine Mischung die man gehört haben muss!